Mit Wahrhaftigkeit und Wohlwollen
Rainer Waßner über den großen Soziologen und Anti-Soziologen Helmut Schelsky
Helmut Schelsky hat als Lehrer, Wissenschaftspolitiker und Forscher die deutsche Nachkriegs-Soziologie mitgestaltet und geprägt wie kaum ein anderer. Der Hamburger Soziologe Rainer Waßner sprach am 23. Juni 2016 in der Bibliothek des Konservatismus über den Werdegang Schelskys von „dem“ Soziologen der Bundesrepublik hin zum Anti-Soziologen, der die eigene Fachrichtung mehr und mehr kritisch betrachtete.
Demnach versuchte Schelsky, mit Wohlwollen gegenüber der Bundesrepublik und Wahrhaftigkeit gegenüber seiner Wissenschaft, ein getreues Bild der Gesellschaft aufzuzeigen. Hierbei, so Waßner, machte er bereits in seinen frühen Schriften auf die Problematik einer Soziologie aufmerksam, die nur noch auf Handlungen abstellte und das Individuum nichts mehr gelten lasse. Daß die Soziologie durch Ansätze wie die Frankfurter Schule oder die Systemtheorie immer mehr zur Sozialtechnologie verkomme und zu einer Art Herrschaftswissenschaft einer intellektuellen Elite werde, brachte Schelsky schließlich auf den Weg des kritischen Anti-Soziologen: „Der Umschwung in der bundesdeutschen Soziologie von der ‚induktiven‘ empirischen Sozialforschung der 50er und Anfang der 60er Jahre zu der wieder deduktiv vorgehenden Theorienlehre der ‚Frankfurter Schule‘, des Neomarxismus oder des funktionalistischen Systems eines Niklas Luhmann hat nicht zuletzt zu einer Reideologisierung der bundesdeutschen Politik beigetragen.“
In seinem Buch „Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen“ warf er den von ihm als „Reflexionseliten“ bezeichneten Intellektuellen vor, die Institutionen derart umzugestalten, daß der Einzelne diesen eigenen Macht- und Herrschaftsansprüchen unterworfen werde. Die Wichtigkeit von Institutionen einerseits, sowie die Freiheit des Individuums anderseits, waren Schelsky Anliegen, die er durch das System der „Belehrung, Betreuung und Beplanung“ dieser Reflexionseliten in Gefahr sah. Damit näherte er sich auch wieder seinem Lehrer Arnold Gehlen an, der die Entwicklung an den deutschen Hochschulen und in den intellektuellen Milieus von Anfang an skeptischer beurteilt hatte. Für Rainer Waßner bleibt die Kritik Helmut Schelskys auch heute noch aktuell, was sich auch daran zeige, daß das Interesse an Schelsky und seinem Werk wieder zunehme.
Rainer Waßners Vortrag „Helmut Schelsky – Soziologe und Anti-Soziologe“ wird im Laufe des Jahres in unserer Schriftenreihe ERTRÄGE erscheinen.