Ein entschlossener Gegner des Gutmenschentums
Der Philosoph Norbert Bolz bürstet Martin Luther gegen den Zeitgeist
Im Lutherjahr 2017 fehlt es nicht an Darstellungen von Leben und Werk Martin Luthers. Fast durchgängig wird er dabei als Wegbereiter des neuzeitlichen Individualismus und der Moderne gefeiert. Nicht so bei Norbert Bolz. Der Berliner Philosoph und Kommunikationsforscher brachte den Reformator am 26. Januar 2017 bei der Präsentation seines neuen Buches „Zurück zu Luther“ konsequent gegen den sentimentalen Humanitarismus unserer Zeit in Stellung. Denn für ihn gibt es keinen schärferen Kritiker des Gutmenschentums als Luther.
Zunächst legte Bolz dar, wie es zu seiner Beschäftigung mit dem Reformator kam. Als junger linker Intellektueller habe er sich, obwohl getauft, mit größter Selbstverständlichkeit von der Kirche losgesagt. Gleichwohl hätten ihn theologische Themen nie losgelassen. Als Mitarbeiter am Lehrstuhl des Berliner Philosophen und Judaisten Jacob Taubes habe er sich zwangsläufig mit dessen Thesen zur „Abendländischen Eschatologie“ und Politischen Theologie befassen müssen. Später habe er sich mit seinem Buch „Auszug aus der entzauberten Welt – Philosophischer Extremismus zwischen den Weltkriegen“ zu einem Thema habilitiert, in dem die politische Theologie abermals eine große Rolle spielte.
Je länger die Beschäftigung mit der Theologie andauerte, desto mehr begannen ihn die Inhalte selbst zu beschäftigen. Bolz, der sich heute ohne Scheu als „Konservativen“ bezeichnet, trat wieder in die Kirche ein – und leidet nun mit vielen anderen Kirchgliedern am Substanzverlust der evangelischen Kirche und ihrer allzu oft fragwürdigen Botschaft. An dem Glaubenseifer und heiligen Ernst Luthers könne sich die heutige evangelische Kirche, so Bolz, nur ein Beispiel nehmen.
Bolz‘ Gedankenführung kreiste denn auch um die zentralen Inhalte der Lehre Luthers: Gesetz und Evangelium, das Rettungshandeln Christi, der unfreie Wille, Sünde und Gnade, das Wort Gottes, die Lehre von den Zwei Reichen. Bolz bezeichnete Luthers Lehre mehrfach als klar und einfach und scheute sich auch nicht, Denker wie Karl Barth und Rudolf Bultmann, die sich selbst keineswegs als Lutheraner bezeichnet hätten, für seine Argumentation in die Pflicht zu nehmen. All dies ist Bolz‘ Anliegen geschuldet, mit seinem Buch zugleich eine knappe Einführung in das Denken Martin Luthers zu liefern und es nach Kräften stark zu machen.
Überzeugend zeigte Bolz, daß Luther mit dem neuzeitlichen Denken, wie wir es heute kennen, nichts gemein hat. Das auf Selbstverwirklichung zielende Individuum war dem Reformator fremd. Ihm ging es um die Frage, wie der Sünder dem Zorn Gottes entkommen und einen gnädigen Gott finden könne. Nicht um „den Menschen“, sondern um das Seelenheil des Menschen inmitten einer gefallenen Welt war es ihm zu tun. Der Abstand zum heutigen Protestantismus könnte kaum größer sein.
Einen Mitschnitt der Buchvorstellung finden Sie demnächst hier.