Balance von Verbindlichkeit und Individualität (Video & Podcast)

Christoph Lütge sprach über die Bedeutung des Böckenförde-Diktums heute

Christoph Lütge bei seinem Vortrag

Was hält die Gesellschaft zusammen? Dieser Frage widmete sich am 26. Juni 2024 Christoph Lütge, Inhaber eines Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Technischen Universität München. Als Ausgangspunkt der Erörterung diente der berühmte Satz des inzwischen verstorbenen deutschen Staatsrechtlers und Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde (1930–2019), der erstmals 1964 in einem Seminarbeitrag diagnostiziert hatte: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Lütge verwies zunächst auf den geschichtlichen Hintergrund des Diktums, den Bedeutungsverlust der Kirchen und des Christentums für die Politik. Diese Entwicklung habe sich seit den 1960er Jahren noch deutlich verstärkt, so daß es seither vielfach Versuche gegeben habe, die entstandene Lücke der Sinnstiftung moderner Gesellschaften zu schließen. In diesem Zusammenhang ging Lütge unter anderem auf Jürgen Habermas‘ Verfassungspatriotismus und John Rawls‘ Idee der Fairneß ein, die jedoch keine hinreichenden Grundlagen einer modernen Gesellschaft darstellten.

Von hier aus wandte sich Lütge heutigen politischen Fragestellungen zu und plädierte angesichts einer zunehmend gespaltenen Spaltung der Gesellschaft für eine differenziertere gesellschaftliche Debatte. So müßten etwa ein reflektierter Umgang mit der deutschen Geschichte, der nicht nur die NS-Zeit in den Blick nehme, oder eine an den eigenen Interessen orientierte Außenpolitik möglich sein, ohne sich politischen Verdächtigungen auszusetzen.

Dies aber werde erst möglich sein vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Narrativs, einer die Gesellschaft verbindenden Erzählung. Ereignisse, auf die sich frühere Generationen bezogen, seien historisch oft nicht mehr bekannt. Auch verfingen sie nicht mehr, da die heutige Gesellschaft in hohem Maße von Migration geprägt sei. Statt dessen kämen der Wiederaufbau der Bundesrepublik nach 1945 oder die Erlangung der deutschen Einheit 1990 als Narrative in Betracht. Auch der Religion komme weiterhin eine wichtige Rolle für den Zusammenhalt der Gesellschaft zu, nur könne angesichts der Zusammensetzung der Gesellschaft nur im Plural von ihr gesprochen werden.

Nichtsdestotrotz müsse auch in einer von Narrativen und Religiosität geprägten Gesellschaft die Möglichkeit zur Opposition und zur Sezession erhalten bleiben. Beispielhaft nannte Lütge in diesem Zusammenhang die Haltung des früheren FAZ-Herausgebers Joachim Fest, dessen Autobiographie 2006 unter dem Titel „Ich nicht“ erschienen war. Im Ergebnis sei es allein eine Balance von Verbindlichkeit und Individualität, die den Zusammenhalt moderner Gesellschaften gewährleisten könne.

In der Aussprache wurde unter anderem diskutiert, ob Multikulturalität und Multireligiosität tatsächlich hinzunehmen seien oder ob eine noch in der Mehrheit befindliche Gesellschaft nicht auch das Recht habe, sich ihrer zu erwehren. Hierzu gebe es etwa im Hinblick auf arabische Clan-Strukturen und islamistische Gewalt auch konkreten Handlungsbedarf. Lütge verwies auf die normierende Funktion des Rechts, das von allen Mitgliedern der Gesellschaft beachtet werde müsse. In diesem Rahmen sei eine Vielfalt der Lebensweisen hinzunehmen und auch faktisch kaum mehr rückgängig zu machen.

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