Das Grundgesetz hat sich vom Provisorium zur Verfassung entwickelt

Michael F. Feldkamp über 70 Jahre Grundgesetz

Michael F. Feldkamp

Am 22. Mai 2019 sprach der Historiker Michael F. Feldkamp zum Thema „70 Jahre Grundgesetz – Seine Entstehung, Adenauer und die Alliierten“. Der Autor des Standardwerks „Der Parlamentarische Rat 1948-49 – Die Entstehung des Grundgesetzes“ zeigte die komplizierte Situation auf, die sich zwischen den Ländern, den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates und den Alliierten im Ringen um einen deutschen Verfassungsentwurf entspann. Die lange unklaren Vorbehaltsrechte und der von den Besatzern geforderte föderale Charakter trafen auf  Vorbehalte der Deutschen, die bewußt auf eine provisorische Regelung drängten und daher den Namen Grundgesetz statt Verfassung wählten.

Die drei westlichen Alliierten hatten die Ministerpräsidenten der Länder in der britischen, französischen und amerikanischen Besatzungszone angewiesen, eine Verfassung zu erarbeiten. Die Länderparlamente wählten 65 Vertreter in den Parlamentarischen Rat, der am 1. September 1948 in Bonn erstmals zusammentrat und das Grundgesetz erarbeitete, das dann am 23. Mai 1949 verkündet wurde. Feldkamp wies darauf hin, daß der Parlamentarische Rat nicht nur wie ein Parlament organisiert war und arbeite, sondern sich auch so benahm. Zur Irritation der Alliierten wurden Stellungnahmen zu aktuellen politischen Ereignissen abgegeben, Grußworte versandt und Verlautbarungen verabschiedet. Die alliierten Verbindungsoffiziere wiesen mehrfach darauf hin, daß dies nicht Aufgabe sei. In mehreren Ausschüssen organisiert, wurden die verschiedenen Teile des Grundgesetzes diskutiert, abgestimmt und ausgefertigt. Der Grundrechte-Teil unter Vorsitz von Theodor Heuß wurde besonders intensiv und philosophisch ausführlich durchdacht. Die Protokolle läsen sich wie ein philosophisches Oberseminar, so Feldkamp. Den Ministerpräsidenten der Länder, aber auch den meisten Mitgliedern war der provisorische Charakter der Aufgabe wichtig, weshalb man nicht von Verfassung sprechen wollte, sondern den Begriff Grundgesetz wählte, da nicht wenige von einer baldigen Vereinigung ganz Deutschlands ausgingen.

Über dem Arbeitsprozeß schwebte die gesamte Zeit über die Frage, ob die Alliierten den deutschen Entwurf akzeptieren, Nachbesserungen fordern oder gar ablehnen würden. Da es 1949 zu Geheimverhandlungen der West-Alliierten mit der Sowjetunion zur Beendigung der Berlin-Blockade kam, war die Annahme jedoch gesichert, da Großbritannien, Frankreich und die USA jetzt schnell Fakten schaffen wollten. Der Parlamentarische Rat wurde darüber jedoch lange nicht informiert. Erst als beschieden wurde, daß Fragen des Militärs, polizeiliche Fragen, Notstand u. a. unter alliierten Vorbehalt gestellt werden würden, lösten sich die letzten Streitigkeiten. Mit einem interfraktionellen Kompromiß konnte das Provisorium am 8. Mai 1949 fertiggestellt werden. Dieses Datum, vier Jahre nach Kriegsende, war vor allem für den Präsidenten des Parlamentarischen Rates, Konrad Adenauer, von herausragender und symbolischer Bedeutung. Nach der Annahme durch die alliierten Militärgouverneure konnte das Grundgesetz schließlich am 23. Mai 1949 ratifiziert und verkündet werden.

Aus der Sicht des Parlamentshistorikers hat sich das Grundgesetz bewährt und sei zu einem „dauerhaften Provisorium“ geworden, das der politisch-gesellschaftlichen Integrationsfunktion einer Verfassung gerecht geworden sei. Durch die Änderungen seit 1949 sei das Provisorium bis 1990 zu einer Verfassung ausgestaltet worden und daher der Beitritt der DDR zur BRD nur konsequent gewesen. Durch die Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundesrat und Bundestag, das Grundgesetz beizubehalten, sei es im Zuge der Wiedervereinigung 1990 schließlich de facto zu einer Verfassung erhoben worden.

 

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