Der Adel begann zu fehlen, kaum daß er abgetreten war

Jens Jessen über den Adel und was von ihm blieb

Jens Jessen

Am 23. Januar 2019 stellte der ZEIT-Redakteur Jens Jessen sein Buch „Was vom Adel blieb – Eine bürgerliche Betrachtung“ vor. Der studierte Germanist näherte sich mit viel Witz und Feingefühl dem Adel und seinen Besonderheiten sowie den Prägungen, die heute noch durch ihn bestehen. Dabei verglich er immer wieder Bürgertum und Adel, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten.

In vielen kleinen, augenzwinkernden Anekdoten zeigte Jessen den Habitus des Adels auf und stellte dessen Besonderheiten heraus. So werde zwar bis zur Dinnerparty darauf geachtet, den Smoking in bestem Zustand zu halten, aber mittendrin sei ein Gang in den Pferdestall durchaus machbar, und man komme auch wie selbstverständlich mit beschmutzen Füßen und Stroh an der Kleidung wieder zum Glas Sekt hinzu. Diese selbstsichere Haltung sei ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zum Bürger: das Bewußtsein, bereits jemand zu sein, und sich nicht erst beweisen zu müssen. Jessens lebendige Beschreibung, wie in einer solchen Situation ein Bürger und ein Adliger von der Feier in den Stall gingen, verdeutlichte den Unterschied frappierend. Während der Adlige, so Jessen, kräftigen Schrittes durch den Stall stapfe, ohne Furcht vor irgendwelchen Splittern zupacke und seinem Pferd mit Besitzerstolz kräftig auf die Flanke klapse, sei der Bürgerliche hier das empfindsame Gegenteil. Vorsichtig tapsend, auf die Schuhe achtend, Splittergefahr penibel vermeidend und ehrfurchtsvoll am Pferd ankommend, stelle sich eine romantische Sicht auf das Tier ein, die die Entfremdung von allem Urwüchsigen und Ursprünglichen verdeutliche. Der weiche, verzärtelte Bürgerliche, mit seiner tiefen Seele und Empfindung, stehe gegen den erdverbundenen, zupackenden Adligen, der sich als besserer Bauer herausstelle, was er, so der Feuilletonist, ja ursprünglich auch gewesen sei.

In der heutigen, auf ihre Meritokratie so stolzen Zeit, in der das Leistungsprinzip den Status bestimme, sei der Adlige auf romantische Art und Weise aus der Zeit gefallen. Weder Besitz noch Leistung könnten seinen Status beeinflussen. Dieser sei dem Adel von Anfang an auf dem Lebenskonto gutgeschrieben. Diese Unverlierbarkeit des Status provoziere aber auch Haß auf das, was einstmals gratis war, aber nicht gerecht verteilt wurde. Durch das Ende der Adelsherrschaft kann der Adelsstand auch nicht mehr – schon gar nach Maßgabe der „sozialen Gerechtigkeit“ – verteilt werden. Dieses Zeichen echten Ranges sei also endgültig limitiert, was eine dauernde Faszination des Adel erzeuge. Dies könne einerseits zu kindlicher Bewunderung, andererseits auch zu kindischem Haß führen. In beiden Fällen artikuliere sich jene sonst nie ausgesprochene Einsicht, so Jessen vielsagend, daß die Belohnung nach Leistung genauso ungerecht sein könne, wie das Geburtsprivileg, vielleicht sogar unmenschlicher. In einer Art negativer Dialektik könne man also sagen, vom Adel blieb, daß er der Gesellschaft zu fehlen begann, sobald er als herrschende Klasse abgetreten war.

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