Die Rettung des Abendlandes aus dem Geist der Kathedrale

Bernhard Viel über Egon Friedells Geschichtstheologie

Bernhard Viel

Am 6. Februar 2019 sprach der Kulturjournalist und Autor Bernhard Viel zum Thema „Der Sturz der Moderne – Zur Geschichtstheologie Egon Friedells“. Der studierte Germanist und Historiker hatte bereits 2013 seine Biographie „Egon Friedell – Der geniale Dilettant“ vorgelegt und widmete sich in seinem Vortrag dessen Hauptwerk „Kulturgeschichte der Neuzeit“. Viel zeigte auf, wie aktuell Friedells Denken sei, und konnte nachweisen, daß viele seiner Ansichten im nachhinein durch die Historiker bestätigt wurden.

Laut Bernhard Viel wollte Egon Friedell nichts weniger, als das retten, was vom untergegangenen Abendland übriggeblieben war – wenigstens aber den Weg weisen, der zu seiner Rettung bzw. Neubelebung führen könne. Sein Denken ließe sich mit der Formel der „Rettung des Abendlandes aus dem Geist der Kathedrale“ zusammenfassen. Friedells Geschichtsphilosophie müsse als Geschichtstranszendenz gelesen werden, als Versuch, eine Zeit zu beleben, die nahe an Gott sei. Eine solche Zeit, in der die abendländische Welt nahe an Gott war, sei das Mittelalter gewesen, und daher erschien Friedell die Kathedrale als ideales Abbild der transzendenten Welt in der empirischen. In der Kathedrale sei symbolisch die Einheit in der Vielheit ausgedrückt. Die Komplexität ihrer Architektur, das harmonische Ineinander der dreischiffigen Gliederung – der Pfeiler, Gewölbe, Rippenbögen, das Maßwerk, die Skulpturen und Wasserspeier – all dies scheine auf den ersten Blick unübersichtlich, ja verwirrend, wiederhole jedoch die geheimnisvolle Schöpfungsordnung, soweit der Mensch dazu in der Lage sei. Jeder, der mit offenen Augen eine Kathedrale betrete, sei im ersten Moment wie geblendet von der Fülle, und fühle sich im selben Moment gehoben. „Eine merkwürdige Leuchtkraft“, so Friedell, „strahlt von den damaligen Zuständen auf uns aus.“

Friedell begründete sein Geschichtsmodell damit gerade nicht, wie in seiner Zeit üblich, mit einer immanenten Ontologie, sondern mit religiöser Transzendenz. Geschichte sei Veränderung der Oberfläche, der sichtbaren, der empirischen Wirklichkeit. Was sich nicht ändere, sei die geistige Substanz der Welt, die wahre Wirklichkeit, die nur der Dichter zu schauen vermöge – im Gegensatz zum Wissenschaftler und Experten. Geschichtsschreibung erhalte somit ihren Sinn nicht als Registratur sichtbarer Fakten, wohl aber als Erkenntnisinstrument, das den Blick auf die geistige Substanz der Welt freigebe. Eine Kultur könne diesen Reichtum künftig nur noch nutzen, wenn sie sich nicht nur auf den Boden einer liberalen Marktwirtschaft und traditionsfeindlichen Befreiungsideologie stelle. Die europäische Kultur müsse sich wieder an den christlich-transzendenten Begründungsmodus ihrer ethischen Werte und kulturellen Leitbegriffe anschließen, auch der politischen. In dieser Hinsicht, so Bernhard Viel abschließend, sei Friedell mit seiner „Kulturgeschichte“ gerade jetzt wieder ein glänzender Lehrmeister.

 

 

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