Rußland entscheidet über die künftige Stärke des Abendlandes

Alexander Rahr über Rußland, das „andere“ Europa

Alexander Rahr

Am 8. Mai 2019 sprach der Politikwissenschaftler Alexander Rahr über „Rußland – Das andere Europa“. Der ehemalige Rußlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) konfrontierte die Zuhörer sowohl mit westlichen als auch russischen Narrativen, um so ein umfassendes Verständnis der Materie aufzeigen zu können. Dazu erläuterte er zunächst die Entwicklung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, die durch die Dominanz der USA einerseits und der Sowjetunion anderseits „fremd“ bestimmt gewesen sei. Die auf das Ende des Kalten Krieges folgende unipolare Weltordnung gehe jetzt auf ihr Ende zu und wir erlebten den Übergang zu einer multipolaren Weltordnung.

Vor der kommenden Wahl zum EU-Parlament stehe die Europäische Union vor der Entscheidung, ob sich die Idee der Vereinigten Staaten von Europa oder das Europa der Nationalstaaten als künftiges Leitbild durchsetze. Über diese Frage der europäischen Identität seien sich Rußland und EU-Staaten wie Tschechien, Ungarn, die Slowakei und Bulgarien wieder nähergekommen. Gerade die mittel- und osteuropäischen Länder seien irritiert, daß sich die EU von einem ursprünglichen Europa zu einer „postmodernen“ und „postnationalen“ Identität entwickelt habe. Das Integrationsmodell einer liberalen Wertegemeinschaft mit Souveränitätsverzicht, Konsensentscheidungen und dem Verzicht auf Eigeninteressen berge zudem das Problem, daß Rußland institutionell von Europa ausgeschlossen bleibe. Die postsowjetische Identitätssuche ging auch in die Vergangenheit zurück und machte die Schaffung eines eigenen Nationalstaates zur Priorität. In diesem gegensätzlichen Politik- und Identitätsverständnis liege einer der wichtigsten Gründe für das derzeit schwierige Verhältnis zwischen Rußland und dem Westen. Das führe dazu, daß die USA und die EU aus der Sicht Moskaus dessen nationale Sicherheitsinteressen ignorierten. Die Abwägung von Werten und strategischen Interessen führe zu folgenreichen Fehlschlüssen, wie etwa dem Ukraine-Konflikt.

Vor 30 Jahren, so Rahr, endete die bipolare Jalta-Weltordnung, die 1990 durch die Unterzeichnung der Pariser Charta von einer neuen, liberalen Weltordnung abgelöst worden sei. Damit habe der Gedanke der westeuropäischen Aufklärung und des universellen Humanismus die neue Leitkultur gebildet. Es habe sich um eine unipolare, von den USA dominierte Weltordnung gehandelt, die in den kommenden Jahren von einer multipolaren Weltordnung abgelöst werde. Rußland werde dabei eine wichtige Rolle spielen, und es werde sich die Frage stellen, ob es ein Europa mit oder ohne Rußland geben werde. Dies entscheide über die künftige Stärke oder Schwäche des Abendlandes, so Rahr.

Für Rußland sei die Sicherheitsfrage strategisch am relevantesten. Die NATO-Osterweiterung könne Moskau akzeptieren, sofern sie nicht Staaten betreffe, die zur ehemaligen UdSSR gehörten wie Weißrußland, die Ukraine etc. Dies sei eine rote Linie. Daher favorisiere man in Rußland eine Stärkung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), da sich hier auch Nicht-EU-Staaten wie die USA und Rußland institutionell einbringen könnten. Eine Alternative für Moskau sei eine engere Anbindung an China, um so ein Gegengewicht zu den USA zu schaffen, wobei Europa nur die Rolle eines Anhängsels bliebe. Im Verlauf der Erosion der unipolaren Weltordnung, mit aufsteigenden Mächten wie China, Indien und der islamischen Welt, drohe Europa ein Bedeutungsverlust. Eine europäische Politik- und Sicherheitsarchitektur, die die USA weiterhin einschließe und Rußland mit einbinde, so Rahr abschließend, könne ein starkes Europa für das 21. Jahrhundert begründen, von Vancouver bis Wladiwostok.

Das Video des Vortrages sehen Sie demnächst hier auf unserer Seite.

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