Kriegstraumata als Belastung für eine freie Gesellschaft (Video & Podcast)
Raymond Unger las als Kriegsenkel aus der Chronik seiner Familie

Raymond Unger bei der Lesung
Am 7. Mai 2025 las der Berliner Autor und Künstler Raymond Unger aus seiner Familienchronik Die Heimat der Wölfe – Ein Kriegsenkel auf den Spuren seiner Familie. Das Buch stammt aus den Anfängen seines literarischen Schaffens und wurde nun in überarbeiteter Fassung neu aufgelegt. Es sei sein persönlichstes Buch, zumal es sich mit den Traumata seiner Eltern beschäftige und letzten Endes auch mit der Dysfunktionalität seiner Kernfamilie. Erzählungen, die in seiner Familie kursierten und auf Tonbändern aufgezeichnet wurden, hätten ihm ermöglicht, einen Blick in die Lebensgeschichte seiner Eltern zu werfen.
Ungers Familienchronik beginnt im Jahr 1924 in Bessarabien, dem heutigen Moldawien, der „Heimat der Wölfe“. Sie reicht über die Hamburger Bombennächte von 1943 und die Erfahrung seines Vaters als Auswanderer in die USA 1958 bis zur Suche nach etwas Glück in der Eigenheimsiedlung einer Hamburger Vorstadt der siebziger Jahre. All die Jahre hindurch blieben die Dämonen der 1940er Jahre präsent, doch konnten sie weder mit Alkohol noch durch exzessive Hobbys gebändigt werden, so Unger. Erst viel später habe er die tieferen Hintergründe erkannt, nämlich die stillschweigende Verdrängung der Kriegserlebnisse seiner Eltern und Großeltern und damit die unbewußte Weitergabe des Kriegstraumas an ihn und seine Schwester. Seither bezeichne er sich selbst als „Kriegsenkel“, also als Nachkomme der eigentlichen Kriegskindergeneration. Jedes seiner Elternteile habe eines der beiden Ur-Traumata der Nachkriegsdeutschen erlitten: seine Mutter das Flüchtlingsschicksal mit Vertreibung aus dem Osten, sein Vater die Obdachlosigkeit durch den Verlust der Wohnung aufgrund alliierter Bombardierung. Unbewußt sei seine frühkindliche Weltsicht von der Trauer über den Verlust der Heimat und von den unbewältigten Traumata des Krieges geprägt worden. Hinzu kam die emotionale Kälte und mangelnde Empathie seiner Eltern, die für Kriegskinder typisch gewesen sei.
Vor dem Hintergrund seiner eigenen Familiengeschichte kam Unger auf die Grundbedingungen einer freiheitlichen Demokratie zu sprechen, die von der Mündigkeit und Informiertheit der Bürger abhängig sei. Denn je verunsicherter und indoktrinierter die Wähler seien, desto leichter könnten ideologiegetriebene antidemokratische Kräfte freiheitsgefährdende Scheindemokratien etablieren. Die „Heimat der Wölfe“ sei erstmals 2015, also in eben dem Jahr erschienen, in dem Angela Merkel mit ihrer moralischen Argumentation zur Flüchtlingskrise einen bis dato unbekannten Politikstil einführte. Im Nachhinein hält Unger es für symptomatisch, daß gerade in jener Zeit, in der sich die psychologische Fachliteratur mit der politischen Unmündigkeit der Kriegskindergeneration und deren Kindern beschäftigte, das Merkelsche Prinzip einer paternalistischen Machtgestaltung etabliert werden konnte. Demgegenüber bilde die Aufarbeitung und Heilung persönlicher wie kollektiver Traumata die notwendige Voraussetzung für eine gesunde und freie Gesellschaft.
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