Leben in einer Zeit der Monster
Mark Feldon und Kolja Zydatiss sprachen über das Ende des liberalen Zeitalters
Die Berliner Publizisten Mark Feldon und Kolja Zydatiss stellten am 23. Oktober 2024 ihr Buch Interregnum – Was kommt nach der liberalen Demokratie? vor. Dabei problematisierten sie zunächst verschiedene Krisenphänomene der Gegenwart und zeichneten nach, wie Moralismus, ideologische Frontenbildung und ein aktivistischer Staat an die Stelle klassisch-liberaler Werte getreten seien.
Der Optimismus, der auf den Zusammenbruch der kommunistischen Regime folgte, sei längst einem bedrückenden Gefühl des Niedergangs gewichen, so die Autoren. Hierfür sei unter anderem ein Hyperliberalismus verantwortlich, der totalitäre Züge trage. Das liberale Zeitalter sei demnach an sein Ende gekommen, wir lebten in einem Interregnum, der Zeit zwischen zwei politischen Ordnungen.
Ihre Wahl des Begriffs „Interregnum“, der zunächst für die Übergangszeit zwischen zwei Herrschaftssystemen vor allem unter Mediävisten, Sinologen und Historikern im Gebrauch gewesen ist, führen sie auf den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci zurück. Sie zitieren aus dessen „Gefängnisheften“ von 1930: „Die Krise besteht genau darin, daß das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann; in diesem Interregnum erscheinen eine ganze Reihe von morbiden Erscheinungen.“ Der slowenische Marxist Slavoj Žižek habe das so formuliert: „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren. Es ist die Zeit der Monster.“
Gramscis Zuversicht, daß die „Zeit der Monster“ immer auch günstige Bedingungen für eine bessere Welt schaffe, wollten sich Feldon und Zydatiss an diesem Abend nicht anschließen. Deshalb beschränkten sie sich darauf, die Morbiditäten, an denen Deutschland und der Westen so reich seien, sowie die augenscheinliche Krise der Autorität unserer Eliten zu beschreiben. Schließlich warnten sie, daß der gegenwärtige Versuch einer autoritären Bewältigung der Krise eine Reihe weiterer morbider Erscheinungen nach sich ziehen werde. Eine „große Transformation“ würde daher „ein chaotischer und folglich offener Prozeß sein“.
Heutige Zeitgenossen könnten sich nicht vorstellen, daß „das Ende der Geschichte“ selbst einmal zu Ende gehen könne. Die Institutionen verfolgten daher nur noch den Zweck, die Verwalter des Interregnums an der Macht zu halten und sie von den Folgen ihres Tuns abzuschirmen. Dies verschärfe die Krise jedoch nur, die sich eines Tages in autoritären Strukturen zu entladen drohe.
Das Buch von Feldon und Zydatiss ist nicht nur eine schonungslose Bestandsaufnahme der westlichen Gesellschaft, sondern auch ein Plädoyer für Pluralismus, Freiheit und Mündigkeit. Kritisch diskutieren sie Staatsmodelle, die in Singapur oder Dubai umgesetzt werden, oder auch das libertäre Modell von „Privatstädten“. Sie kritiseren den Versuch westlicher Nationen, eine neue, durch gemeinsame Werte bestimmte Allianz gegen die „revanchistischen Mächte China und Rußland“ zu schmieden und fragen nach Möglichkeiten der Renaissance der liberalen Demokratie.