Moralischer Rigorismus in der Kulturpolitik (Video & Podcast)
Patrick Bahners sprach über den „Streit um die Raubkunst“
Im Dezember 2022 übergaben Kulturstaatsministerin Roth und Außenministerin Baerbock zwanzig afrikanische Bronzeskulpturen an Nigeria. Die Skulpturen waren von deutscher Seite in London gekauft worden, nachdem die Engländer in einer Militäraktion Ende des 19. Jahrhunderts das tief in Sklavenhandel verstickte Königreich Benin ausgehoben hatten.
Patrick Bahners, Publizist und Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, schilderte in seiner Buchvorstellung am 4. September 2024 den quasi-religiösen moralischen Enthusiasmus in der kulturpolitischen Debatte, der schließlich zur Übergabe geführt hat. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die an der Berliner Technischen Universität lehrende Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, wie Bahners in seinem Buch Kampagne in Deutschland – Bénédicte Savoy und der Streit um die Raubkunst darlegt.
Die in Paris geborene Professorin hatte im Auftrag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zusammen mit dem senegalesische Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr einen „Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“ erstellt. In Frankreich führte das zur symbolischen singulären Rückgabe von zwölf Kunstwerken aus dem nationalen Kulturerbe.
Die Wirkung des Gutachtens in Deutschland war ungleich größer, hatte doch Savoy auch durch zahlreiche Auftritte in den Medien für eine Präsenz des Themas gesorgt. Nicht nur auf Bundes- sondern auch auf Landesebene begannen Aktivitäten, in den Museen nach Objekten zu suchen, die für eine Restitution in Frage kämen. Die im Dezember 2022 übergebenen zwanzig Bronzeskulpturen sollten dabei nur einen Anfang darstellen. Für hunderte Objekte fanden Eigentumsübertragungen statt, die dann meist zunächst lediglich als Leihgaben in deutschen Museen verblieben.
Von 2015 bis 2017 war Savoy Mitglied in einem Beratungsgremium des Humboldt-Forums, wo Benin-Bronzen ausgestellt werden, die nach der Eigentumsübertragung als zunächst zehnjährige Leihgabe präsentiert werden. In diesem Kontext hatte sie sich im Rahmen ihres medienwirksamen Rückzuges aus dem Gremium nicht für Rückgabe sondern für mehr Provenienzforschung und Transparenz stark gemacht. Sie hatte dabei das Humboldt-Forum mit Tschernobyl verglichen.
In der anschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, wie wenig der deutsche Versuch, mit der Übergabe der Benin-Bronzen vergangenes Unrecht wiedergutzumachen, der Situation in Afrika gerecht werde. Dabei wurde deutlich, wie die einfache und zugleich radikale Lösung einer „Rückgabe“ oder „Eigentumsübertragung“ eher hiesige politische Stimmungen wie etwa den deutschen Schuldkomplex bzw. dortige Partikularinteressen wie die Ansprüche der alten Königsfamilie bedient, in deren Besitz Nigeria wenig später die zwanzig Bronzen übergab. Die unerläßliche wissenschaftliche Kuratierung und Präsentation von Kulturgütern, aber auch die Aufarbeitung der überaus komplexen historischen Zusammenhänge würden zugunsten eines moralischen Rigorismus vernachlässigt.
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