Realitätsverlust als ideologisches Programm

Alexander Grau über Realitätsverlust und die Identitätsfalle

Alexander Grau stellt sein Buch „Entfremdet“ vor

Am 14. September 2022 stellte der promovierte Philosoph und Journalist Alexander Grau sein neues Buch „Entfremdet – Zwischen Realitätsverlust und Identitätsfalle“ vor. Grau analysiert anhand zeitgenössischer Phänomene die Suche des Einzelnen nach Authentizität und deutet diese als eine Folge der zunehmenden Entfremdung. Diese Suche stehe in einem engen Zusammenhang mit einem weitreichenden Realitätsverlust, der sich zudem auch in politischen Fragen zeige. Die Orientierungslosigkeit des Einzelnen sei allerdings nicht Ursprung des Realitätsverlustes, sondern lediglich Symptom.

Wenn man wollte, so Grau, dann kann man die Mentalitätsgeschichte der Moderne als das „Raumgreifen der Überzeugung von der Konstruiertheit der Welt“ verstehen. In der Moderne produzierten sich Ideologien permanent selbst und begünstigten so, daß eine Scheinwelt mit der Realität verwechselt werde. Um zu verdeutlichen, was er damit meint, führt er zeitgenössische Phänomene an, wie beispielsweise den Umstand, daß eine Minderheit davon ausgehe, es gäbe tatsächlich mehr als zwei Geschlechter. Aber auch in der Popkultur lassen sich Zeugnisse wiederfinden, wie beispielsweise Tätowierungen, die ihrer ursprünglich martialischen Bedeutung beraubt und zu einem harmlosen Lifestyleprodukt umgedeutet würden.

Diese Phänomene faßt Grau unter dem Begriff der Entfremdung, den er der marxistischen Theorie entlehnt, zusammen. In der Marxschen Theorie dient der Begriff dazu, zu verdeutlichen, daß der Mensch der Industriegesellschaft durch entfremdete Arbeitsprozesse den inneren Bezug zu seiner Tätigkeit und letztlich zum Menschsein selbst verliere. Doch Marxens Prämisse, daß die ökonomische Freiheit aus dieser Entfremdung herausführe, würde durch die Gegenwart eindeutig widerlegt wird, so Grau. Allerdings sei auch die klassische konservative Entfremdungskritik wenig hilfreich. Diese ziele zuvorderst auf äußere Prozesse ab, so wie die Verstädterung, die Vermassung oder den Tod Gottes. Im Zentrum stehe dementsprechend immer die Entfremdung von klassischen Institutionen. Für Grau sei diese Deutung „intellektueller Kitsch“, denn zu einem vorausgehenden historischen Standpunkt zurückzukehren, sei schlicht nicht möglich und außerdem eine Verklärung der historischen Tatsachen. So oder so, resümiert Grau, ist der Versuch, die durch die Konsumgesellschaft bedingte Suche nach Identität durch selbige zu lösen, gescheitert und kein zukunftsfähiges Modell, um den Einzelnen eine Orientierung zu geben.

In der sich anschließenden Diskussion stand noch einmal die Frage im Mittelpunkt, wie es eine linke Splittergruppe, die eine oben skizzierte Hyperindividualisierung befürworte, die selbst in den 1980er Jahren noch vollkommen isoliert war, es in den gesellschaftlichen Mainstream schaffen konnte.

Das Video des Vortrags sehen Sie demnächst hier auf unserer Seite.

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