Vom sozialistischen Dissidenten zum Kritiker staatlicher Willkür

Siegmar Faust über die Auswirkungen des Prager Frühlings und das „andere ’68“

Siegmar Faust

Am 16. Mai 2018 sprach Siegmar Faust vor rund 50 Zuhörern in der Bibliothek des Konservatismus über „Das andere ’68 – Die Auswirkungen des Prager Frühlings“. Der Schriftsteller erläuterte in seinem sehr persönlich gehaltenen Vortrag, wie er (geboren 1944 im sächsischen Dohna) zunächst als begeisterter Jungkommunist aufwuchs, dann kritischer Student und Reformkommunist wurde und sich schließlich, vermittelt durch die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, zum Dissendenten entwickelte, der das sozialistische System komplett ablehnte.

Nach DDR-Haft und Ausreise in den Westen sei er sehr ernüchtert darüber gewesen, wie die westlichen Intellektuellen seiner Generation die SED-Diktatur verharmlosten und sich mit den tatsächlich verfolgten Dissidenten aus den sozialistischen Ländern gleichzusetzen versuchten. Nach Meinung der West-68er sei die Unterdückung im Westen die selbe wie Osten, nur „raffinierter“. Faust zeigte sich bis heute verwundert, daß man von ihm Solidarität für die angeblich unmenschlichen Zustände der RAF-Gefangenen einforderte. Diesen Unterschied von Ost und West, gerade in den Wahrnehmungen, hob Faust immer wieder hervor.

Denn daß die freie Jugend des Westens hinter Bildern von Diktatoren wie Lenin, Stalin und Mao herlief, um gegen eine nicht existierende Unterdrückung unter dem Banner von Massenmördern zu protestieren, sei für wirklich unterdrückte Menschen aus dem Osten bis heute unbegreiflich. Über das Radio konnte Siegmar Faust 1968 die Live-Reportage aus Prag verfolgen, den aufgeregten Reporter, der den Aufmarsch der Roten Armee schilderte, den Klang der ersten Schüsse und schließlich MP-Salven, bevor die Sendung schließlich abbrach. Der Prager Frühling, der von den Machthabern des Ostblocks totgeschwiegen wurde, drang nur via West-Fernsehen und Radio zu den Menschen, aber das bißchen, was von Dubčeks „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ bekannt wurde, elektrisierte laut Faust die jungen Menschen und ließ sie hoffnungsvoll in eine reformierte sozialistische Zukunft blicken. Die Niederschlagung durch die Truppen der Sowjetunion führte für ihn und viele andere zum endgültigen Bruch mit solchen Vorstellungen. Die kommunistischen Länder seien nicht zur Reform, sondern nur zu Diktatur, Unterdrückung und letztlich Gewalt fähig, so die Einsicht, die viele Ost-68er schließlich zu wirkliche Dissidenten des Systems machte.

Um so schockierender wirkte auf den aus dem Osten stammenden Widerständler, wie die Demokratie im Westen als „faschistisch“ bezeichnet wurde und die real existierenden Diktaturen des Osten verharmlost und relativiert wurden. Gegen solchen bis heute anhaltenden Relativismus der eigenen Werte und der Ignoranz gegenüber wirklichen Problemen helfe nur öffentlicher Streit, so Faust abschließend. Zur wirklich gelebten Demokratie gehöre, daß man gegenüber der Regierung stets skeptisch sei, jederzeit seine Kritik gegenüber staatlicher Willkür anbringe und den Streit der Argumente öffentlich austrage. Dies könne der Westen heute immer noch von den Menschen aus dem Osten lernen.

Die Bibliothek des Konservatismus (BdK) ist ein Ort konservativen Denkens und Schaffens in Berlin. Sie dient gleichermaßen dem Sammeln und Erhalten konservativer Literatur, wie der Weiterentwicklung konservativen Gedankenguts durch Vorträge und Publikationen.

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