„Wir schaffen das!“ – und am Ende stand Versailles

Jörg Friedrich über das Kriegsjahr 1915 und die Wende zum Kreuzzug

Jörg Friedrich im Vortrag

Jörg Friedrich im Vortrag

Der Erste Weltkrieg gewann im Jahr 1915 jene Eigendynamik, die sich blindwütig über die Kontinente ausbreitete und das legitime Mächteringen in einen Kreuzzug verwandelte. Wie kam es dazu? Am Freitag, den 20. November 2015, ging der Berliner Historiker Jörg Friedrich vor rund 90 Zuhörern in der Bibliothek des Konservatismus in seinem Vortrag über „Das Jahr 1915 – Die Wende zum Kreuzzug“ dieser Frage nach.

Dabei ging der Referent weit über seinen angekündigten Vortrag hinaus und bot seinen gespannten Zuhörern einen anderthalbstündigen Parforce-Ritt durch den gesamten Verlauf des Ersten Weltkrieges, der sich bereits 1915 auf allen Seiten von seinen ursprünglichen Zielen deutlich entfernt habe. Zur Illustration fragte Friedrich etwa rhetorisch, was für Rußland wohl die geeignete Maßnahme schien, um dem Verbündeten Serbien beizustehen? Natürlich, so Friedrich augenzwinkernd, der Einmarsch in Ostpreußen! Gleiches galt umgekehrt für den deutschen Einmarsch in Belgien, der angeblich dazu dienen sollte, dem Verbündeten Österreich-Ungarn zu helfen.

Die politischen und militärischen Führer aller Seiten, die junge Soldaten bei Gallipoli, Verdun und an anderen Schauplätzen verheizten, verwandelten das europäische Kräftemessen in einen unerbittlichen Kreuzzug. Sie rechneten sich aus, daß bei einem Verlust von 400.000 Mann der Endsieg nicht mehr fern sein könne, wenn der Gegner doch 600.000 verloren habe: „The last man decides.“ Das Mantra der Verantwortlichen beschrieb der Historiker anspielungsreich als großes „Wir schaffen das!“ Für Material- und Menschenschlachten immer kühneren Kriegszielen untergeordnet wurden Verbündete regelrecht „angeworben“ mit dem Versprechen, deren Territorium zu erhalten. Verbündete auf Kredit.

Eindringlich schilderte Friedrich, wie Deutschland als machtvoller Koloß in der Mitte Europas sein Hauptaugenmerk schließlich gen Westen richtete. Der Historiker zeigte auf, wie die Franzosen den Engländern bereits mitgeteilt hatten, daß man bei einem gesichtswahrenden deutschen Friedensangebot sofort aus dem Krieg ausscheiden würde. Die brüske Ablehnung jedweder solcher Vorschläge durch Deutschland erfolgte ein Dreivierteljahr vor dem Ende  im Brustton der Siegesgewißheit. Die Überzeugung Hindenburgs und Ludendorffs, jetzt mit einem letzten großen „Wir schaffen das!“ ein Loch in die Westfront zu schlagen, scheiterte vierzehn Kilometer vor Amiens.  Und damit, so Friedrich, der ganze Krieg: „Wir schaffen das!“  und am Ende stand Versailles.

 

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