Der europäischen Versöhnung keinen Dienst erwiesen (mit Video)

Stefan Scheil sieht das geplante Dokumentationszentrum „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa“ kritisch

Stefan Scheil bei seinem Vortrag

Nach mehr als 70 Jahren europäischer Versöhnungsarbeit wäre auch ein gemeinsames historisches Gedenken wünschenswert. Doch scheinen zumindest die Deutschen davon noch sehr weit entfernt zu sein, so der Mannheimer Historiker Stefan Scheil am 23. Juni 2023 anläßlich seines Vortrages über das geplante Dokumentationszentrum „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa“. Denn während sich insbesondere die Länder des früheren Ostblocks gleichermaßen mit der Aufarbeitung sowohl der deutschen als auch der sowjetischen Besatzungszeit befaßten, fokussiere sich die deutsche Erinnerungspolitik nach wie vor auf den Zweiten Weltkrieg. Doch selbst wenn man diesem Ansatz folge, müsse man feststellen, daß der vorliegende Realisierungsvorschlag für das künftige Dokumentationszentrum keineswegs den wissenschaftlichen Standards genüge, die man von einer solchen Einrichtung von europäischer Dimension verlangen müsse.

So beklagte Scheil, daß sich die Aussteller nicht die Mühe machten, zu differenzieren und zu erläutern, was „Besatzungsherrschaft“ in den jeweiligen Ländern bedeutet habe. Handelte es sich beispielsweise in Polen um eine reine Fremdherrschaft ohne Beteiligung polnischer Stellen oder Vereinbarungen mit ihnen, lag der Besatzung in Frankreich ein konventioneller Waffenstillstand mit der französischen Regierung zugrunde, die weiterhin im Amt und geschäftsfähig blieb. Auch würden weder mit Blick auf Frankreich noch auf andere Länder Erscheinungsformen von Kollaboration thematisiert. Statt dessen werde das Bild einer gleichsam homogenen, durchweg verbrecherischen Besatzungsherrschaft gezeichnet, die vorgängige Entwicklungen – etwa, wer wem wann den Krieg erklärt hatte – weitgehend ausblende. Auch würden die Wechselwirkungen zwischen den Kriegsparteien konsequent ausgeblendet, etwa im Fall der Hungernot in den Niederlanden, die erklärtermaßen durch alliierte Maßnahmen mitverursacht wurde und im Ergebnis dann doch allein deutscher Verantwortung zugeschrieben wird.

Der vorliegende Realisierungsvorschlag für ein Dokumentationszentrum „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa“ sei demnach, so Scheil, ungeeignet, den Besuchern ein zutreffendes Bild der Weltkriegsära und der deutschen Besatzungsherrschaft zu vermitteln. Er unterstreiche damit allerdings wider Willen die dringende Notwendigkeit weiterer Aufklärung und objektiver Dokumentation des Weltkriegsgeschehens als der Grundvoraussetzung für alles, was während der Besatzungszeit geschehen sei. In der derzeit geplanten Form würde das Dokumentationszentrum einer auf Wahrhaftigkeit basierenden europäischen Versöhnung einen Bärendienst erweisen.

Sehen Sie hier den Vortrag in voller Länge:

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