Der Weg künftiger deutscher Außenpolitik muß von der Zahlungs- zur Verantwortungsbereitschaft führen

Peter Seidel über Europa am Scheideweg

Peter Seidel in der BdK

Am 6. Juni 2018 sprach Peter Seidel in der Bibliothek des Konservatismus über „Europa am Scheideweg – Perspektiven deutscher Außenpolitik“. Der ehemalige außenpolitische Referent von Heiner Geißler und Volker Rühe skizzierte zunächst die derzeitige Lage Europas, das in viele Teile gespalten und somit geopolitisch anderen internationalen Akteuren mehr oder weniger ausgeliefert sei. Neben der Migrationskrise hätten vor allem die Eurokrise und die Krimkrise zu einer neuen, scharfen Spaltung innerhalb der Europäischen Union geführt. Doch dies seien nur Folgen des eigentlichen und grunsätzlichen Problems, nämlich der geringen Innovationskraft und des mangelnden Reformwillens in weiten Teilen der EU.

Die Spaltung in West-, Mittel- und Osteueropa bzw. in Nettozahler und Nettoempfänger sei problematisch, und die ungelöste Frage, ob man einen europäischen Zentralstaat („Vereinigte Staaten von Europa“) oder ein supranationales Bündis souveräner Staaten („Europa der Vaterländer“) anstrebe, führe zu permanenten Konflikten unter den Mitgliedsstaaten. Die Folge seien unklare Kompromisse, die die entstandene Probleme nicht lösten, sondern die Krisen perpetuierten. Ein tiefgreifende Reform der EU sei dringend notwendig, hänge aber ab von der Rolle Deutschlands in der Außenpolitik.

Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik flüchte sich unterdessen noch immer in den Versuch, der eigenen machtpolitischen Verantwortung durch ein Aufgehen in „Europa“ und einen illusorischen Idealismus zu entkommen. Deutschland Strategie sei es, über die EU viel Geld an andere zu verteilen, um Probleme vorübergehend ruhigzustellen. Dies verschiebe die Problem jedoch nur. So sei die Bundeswehr unter dem Stichwort „Friedensdividende“ seit 1990 kontinuierlich bis zur jetzigen Verteidigungsunfähigkeit geschwächt worden. In der derzeitigen Phase weltpolitischer Beschleunigung mit dem Aufstieg Chinas, dem Wiedererstarken Rußlands und der unilatralen Politik der USA sei ein Freikaufen von Verantwortung jedoch nicht mehr möglich, sondern ein Fehler, der Deutschland und Europa teuer zu stehen kommen werde. Letztlich gehe es um die Selbstbehauptung Europas oder um seinen Abstieg in der Welt.

Von einer Zahlungsbereitschaft müsse Deutschland zu einer Verantwortungsbereitschaft gelangen. Dazu gehörten erstens die kritische Prüfung und Änderung der deutschen politischen Kultur – weg vom pazifistisch-idealistischen Heraushalten hin zu einem realistischen Handeln. Zweitens brauche es die Formulierung einer modernen strategischen Kultur in Deutschland und Europa (Grenzsicherung, militärische Zusammenarbeit, Verhältnis zu angrenzenden Staaten, Sicherung der Handelswege etc.). Und drittens den Neuaufbau der Bundeswehr als Kern einer europäischen Verteidigung. Dafür müsse Deutschland seine Hausaufgaben machen: Rückkehr zu bewährten Elementen preußisch-deutscher Militärtradition, Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates, Wiedereinführung eines Generalstabs und jährliche Berichte der Regierung zur internationalen Sicherheit. Ohne Mittel für eine moderne Ausstatttung und drastische Erhöhung des Wehretats sei dies aber nicht zu haben. Es bleibe vor allem die Frage, so Seidel abschließend, ob sich die Spaltungen und Halbheiten in Deutschland fortsetzen würden wie bisher. Ein Deutschland, das verteidigungsunfähig und unwillig zur Änderung seiner Außen- und Sicherheitspolitik sei, führe eher zu Europas Abstieg als seiner Selbstbehauptung.

 

 

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