Der Konservatismus der Zukunft ist liberal und emanzipatorisch

Ulrich Vosgerau über die Ausrichtung des Konservatismus angesichts einer neuen Linken

Ulrich Vosgerau bei seinem Vortrag

Der Konservatismus hat hierzulande schlechte Karten. Die ihn einst tragende bürgerliche Bildungsschicht ist ausgestorben, mögliche Anknüpfungspunkte bei Institutionen wie Staat, Universität, Militär und Kirche kaum mehr gegeben. Auch scheint es, als habe der Traditionsabbruch die einstmals Konservativen selbst erfaßt: Die Unionsparteien wollen (außer im Wahlkampf)  schon lange nicht mehr konservativ sein, die AfD interessiert sich für dieses Thema nicht sonderlich und konservative Kleinstparteien reichen kaum aus, um als politischer Arm dieser so geschichtsträchtigen politischen Idee zu gelten.

Wie also kann der Konservatismus in Zukunft noch aussehen? Dieser Frage widmete sich am 28. Februar 2024 der Berliner Staatsrechtler Ulrich Vosgerau in einem gleichnamigen Vortrag. Zunächst stellte er fest, daß es sich beim Konservatismus – bzw. Konservativismus, wie er bevorzugt sagte – keineswegs nur um eine verspätete Reaktion auf die Umbrüche der Französischen Revolution handle, wie dies der Soziologe Karl Mannheim (1893–1947) in einer berühmt gewordenen These behauptet hatte. Vielmehr sei der Konservatismus uralt: Schon Aristoteles sei konservativ gewesen, da er die Vernunft aus der Wirklichkeit habe ableiten und nicht die Wirklichkeit nach geistigen Prämissen habe umbauen wollen, desselben auch Goethe oder Justus Möser, beide ebenfalls noch vor der Französischen Revolution.

Allerdings nehme der deutsche Konservatismus im Vergleich zu dem der europäischen Nachbarn eine Sonderstellung ein: Anders als der streng legitimistische Konservatismus in Frankreich, dem es in der Tradition Joseph de Maistres stets um den Erhalt des absolutistischen Staates und des Gottesgnadentums gegangen sei, habe sich der deutsche Konservatismus historisch gleichermaßen gegen die absolutistischen Herrscher wie auch gegen die Herrschaft der Revolutionäre gewandt. Freiheitsbewegung und Konservatismus gehörten in Deutschland daher eng zusammen.

Wieder anders sei der britische Konservatismus gelagert. Seine Träger seien die besitzenden Stände gewesen, deren vornehmliches Ziel es gewesen sei, ihre Stellung inmitten der Umbrüche der Zeit zu erhalten. Indem sie versuchten, die sozialen Folgen der industriellen Revolution soweit wie möglich abzufedern und zu verlangsamen, gewährten sie deshalb den damit verbundenen gesellschaftlichen Umwälzungen, wie etwa dem Individualismus, Raum, statt sie einzudämmen. Auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden, so Vosgerau, alle großen Weichenstellungen, die Großbritannien zugrunde gerichtet hätten, von konservativen Vertretern der Oberschicht in die Wege geleitet.

Das Fazit müsse, so Vosgerau, daher lauten: „So richtig konservativ sein, konservativ sein wie Goethe oder Hegel, wie Justus Möser oder Friedrich Carl v. Savigny, wie Friedrich Julius Stahl oder Rudolf Smend, wie Helmut Schmidt oder Alexander Gauland, das können eigentlich nur Deutsche!“

Dieser deutsche Konservatismus begegne einer neuen Linken, die sich von den Ideen der alten Linken weithin verabschiedet habe. War die alte Linke noch utopisch, materialistisch und atheistisch, so sei die neue Linke von einer moralisch aufgeladenen Reglementierungswut mit zivilreligiösem Anspruch geprägt. Sie sei der Motor einer permanenten Revolution, die in den zurückliegenden Jahrzehnten in der Asyl- und Ausländerpolitik, der Kultur- und Bildungspolitik sowie der Identitäts- und Geschlechterpolitik keinen Stein auf dem anderen gelassen habe.

Auf diese neue Linke müsse sich der Konservatismus einstellen, wenn er Erfolg haben wolle. Habe er früher Natur und Moral verteidigt, die Religion gegenüber Aufklärung und Marxismus in Schutz genommen und emanzipatorische Bewegungen bekämpft, müsse er sich künftig selbst jede Moralisierung versagen und statt dessen liberale und emanzipatorische Prinzipien gegenüber dem „grünen Erziehungsstaat“ in Anschlag bringen. Dabei sei er in seinem Handeln tendenziell areligiös und religionskritisch und von „Aufgeklärtheit, Rationalität und Sachbezogenheit“ geprägt.

In der anschließenden Aussprache wurde unter anderem gefragt, ob ein derart zugeschnittener Konservatismus nicht abermals reaktiv – diesmal gegenüber einer neuen Linken – bleibe, statt mit eigenen Inhalten aktiv zu gestalten. Auch der künftige Stellenwert der Metaphysik, soweit sie Bestandteil der von Vosgerau geforderten Rationalität ist, wurde von den Teilnehmern diskutiert.

Sehen Sie hier den Vortrag in voller Länge:

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