Symposion „Ernst Nolte 1923 – 2023“ in der BdK
Mehr als nur Initiator des Historikerstreits: Ernst Nolte als Geschichtsdenker gewürdigt
Am 11. Januar 2023 jährte sich der Geburtstag des Historikers und Philosophen Ernst Nolte zum 100. Male. Aus diesem Anlaß luden die Historiker Prof. Dr. Hans-Christof Kraus (Passau) und Prof. Dr. Uwe Walter (Bielefeld) am 6. Oktober 2023 unter dem Titel „Ernst Nolte 1923 – 2023“ zu einem wissenschaftlichen Symposion in die Berliner Bibliothek des Konservatismus.
In ihrer Begrüßung hoben die Veranstalter hervor, daß ein solches Symposion eigentlich an der Alma mater Noltes, der Freien Universität Berlin, hätte stattfinden müssen. Da dies (erwartungsgemäß) nicht geschah, sei es um so erfreulicher, daß sich die BdK bereiterklärt habe, dem Symposion stellvertretend ein Forum zu bieten.
In seinem einführenden Vortrag „Vom Ende aller Sicherheit – eine frühe Lektüre Ernst Noltes als spezifische Primärerfahrung“ schilderte Hans-Christof Kraus den Eindruck, den der Roman „Studenten, Liebe, Tscheka und Tod“ der russischen Exilautorin Alja Rachmanowa beim jungen Nolte hinterließ. Die Schilderungen der grausamen Verfolgung der orthodoxen Familie Rachmanowas sowie weiter Teile des Volkes infolge der Oktoberrevolution hätten bei Nolte ein Bewußtsein vom „Ende aller Sicherheit“ geschaffen, so daß man diese Lektüre mit Helmut Schelsky als eine „Primärerfahrung“ Noltes verstehen könne, auf die er sich bis in sein Spätwerk hinein immer wieder bezogen habe.
Der emeritierte Erlanger Historiker und frühere Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Horst Möller, widmete sich Noltes Frühwerk „Der Faschismus in seiner Epoche“ (1963), dem er das Buch „Die Krise des liberalen Systems und die Entwicklung der Faschismen“ von 1966 zur Seite stellte. Nolte habe darin als erster Historiker einen komparatistischen Ansatz gewählt, der den Faschismus als Epochenphänomen ausgewiesen habe, als dessen Schlüsseljahr 1919 zu gelten habe. In der berühmten Trias Action française – Faschismus – Nationalsozialismus habe er zugleich der Action française eine Sonderrolle zuweisen können, da sie ein theoretisches Phänomen gewesen sei, während der Faschismus seine Gestalt stets in der Tat gewinne.
FAZ-Redakteur und Buchautor Patrick Bahners widmete sich unter der Überschrift „Historikerstreit 0.0: Momente der postkolonialen Situation in „Deutschland und der Kalte Krieg““ der unter anderem in der FAZ geführten „Katechismusdebatte“, die auch als „Historikerstreit 2.0“ in die Diskursgeschichte eingegangen ist. Der dort unter anderem thematisierte Zusammenhang von Nationalsozialismus und Dekolonisation sei relevant, von Nolte aber nicht hinreichend beachtet worden. So sei er der Frage ausgewichen, ob es im deutschen Kolonialismus eine Vorform bzw. Einübung von Genoziden und rassistischer Gewalt gegeben habe. Zugleich habe er unter dem Aspekt der Gewaltherrschaft ausgerechnet immer wieder Staaten mit dem Nationalsozialismus verglichen, die aus der Dekolonialisierung hervorgegangen sind, etwa Ägypten nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft. Noltes universalhistorischer, komparatistischer Blick zeige dagegen, daß es einen Universalismus im Sinne einer gemeinsamen Welterfahrung gebe (ihn mithin auch der Vorwurf des Nationalismus nicht treffe). Daß er zur Stützung seiner Thesen gleichwohl sehr selektiv Beispiele ausgewählt habe, werfe Fragen auf.
Mit „Rezeption und Nachwirkung der Thesen Ernst Noltes im bundesdeutschen „Historikerstreit““ befaßte sich der Braunschweiger Historiker Gerrit Dworok. Den Grund für die zum Teil heftigen Reaktionen auf Noltes verhinderte Rede „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ (abgedruckt in der FAZ vom 6. Juni 1986) erblickte er darin, daß in ihr drei bundesdeutsche Konfliktlinien einen gemeinsamen Kulminationspunkt gefunden hätten: Die Suche nach der deutschen Identität, die Rolle des Nationalsozialismus für die deutsche bzw. europäische Geschichte und die Konkurrenz des linksliberalen und liberalkonservativen Lagers. Die Deutungshoheit über Noltes Thesen wurde vielfach auch als Richtungsentscheidung in diesen grundlegenden Konflikten verstanden, was die Erbitterung, mit der der Historikerstreit geführt wurde, womöglich erklären könne.
Der Bielefelder Philosoph Wilko Richter sprach zur „phänomenologisch-existenzphilosophischen Dimension von Noltes Werk“. Der Einfluß Edmund Husserls auf Noltes Denken werde laut Richter überschätzt, vielmehr komme Martin Heideggers Fundamentalontologie eine zentrale Rolle zu. Heidegger bestimme das Verhältnis des Menschen zum Sein als „Existenz“, die von „Existenzialien“ determiniert sei. Eben hier setze Nolte an, wenn er eine theoretische Transzendenz (die monotheistischen Religionen) annimmt, die zugleich den Fortbestand der Existenzialien verbürge, während eine praktische Transzendenz (der Marxismus) die Selbstüberschreitung des Menschen rein innerweltlich im Sinne des nie zu erreichenden Ideals einer „gerechten Gesellschaft“ verfechte und die Berechtigung einer theoretischen Transzendenz in Frage stelle. Aus dieser Dialektik habe Nolte schließlich seinen Ansatz entwickelt, wonach eine Ewige Rechte existiere, die die Existenzialien gegen eine Ewige Linke verteidige – ein Prozeß, der als „Geschichte“ faßbar werde, ohne in bloßer Ereignisgeschichte aufzugehen.
In seinem abschließenden Vortrag nahm Uwe Walter „Weltgeschichtliche Perspektiven im Werk Noltes“ in den Blick. Habe „Weltgeschichte“ vormals eher als eine Kategorie marxistischer Historiker gegolten, so habe sich Nolte ihrer nicht nur angenommen, sondern sie sogar zu seinem Hauptwerk gemacht (Historische Existenz, 1998). Anders als jene, betrachte Nolte Geschichte jedoch nicht nur als soziologische Extrapolation, sondern nehme ein Telos der Geschichte an. Diese Geschichte sei gekennzeichnet vom Kampf zwischen einer zukunftsgerichteten Linken und einer transhistorischen Rechten. Da es sich um einem „ewigen Kampf“ handle, sei für Nolte – anders als etwa für Spengler – eine Verständigung des Menschen auch epochenübergreifend möglich. Die „Historische Existenz“ Noltes stehe damit in der Tradition philosophisch-anthropologischer Geschichtsbetrachtung, in der Europa als Träger der menschlichen Existenz schlechthin erscheine.
Ein Tagungsband ist für 2024 geplant.