Von verkabelten Mönchen zur Netzwerkgesellschaft

Martin Burckhardt über die Ursprünge des Transhumanismus

Martin Burckhardt bei seinem Vortrag

Das moderne Konzept des Transhumanismus geht davon aus, daß es einen Zeitpunkt in der nahen Zukunft geben wird, an dem die Künstliche Intelligenz (KI) die menschliche übertreffen wird. Eine Konsequenz davon soll die Unsterblichkeit des Menschen sein, wie beispielsweise einer der technischen Leiter von Google, Ray Kurzweil, prognostiziert. Für die meisten erscheint dieses Szenario entweder bedrohlich – oder aber verheißungsvoll. In jedem Falle zeugten diese gängigen Reaktionen von der kollektiven Unfähigkeit, die technischen Entwicklungen nüchtern und differnziert zu betrachten. So lautete denn auch der Ausgangspunkt des Vortrags, den der Berliner Kultursoziologe Martin Burckhardt am 22. März 2023 in der Bibliothek des Konservatismus hielt, um dem Publikum das Unbehagen gegenüber der Technisierung zu nehmen. Burckhardt wählte für sein Anliegen einen originellen Zugang, bei dem er, wie er selbst sagte, eine „Tour de Force“ durch die europäische Kulturgeschichte unternahm und verschiedene Aspekte aus dem Fragenkreis des Transhumanismus miteinander verband.

Um die über uns hereinbrechende Digitalisierung, die ein Vorbote des Transhumanismus sei, zu verstehen, sei es erst einmal notwendig, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen und die „Psychologie der Maschine“ aufzudecken. Burckhardt betonte, daß die psychologische Seite der Maschine schon deshalb einer eingehenden Betrachtung wert sei, da wir es durch sie mit uns selbst zu tun bekämen. Schließlich sei der Mensch ihr Schöpfer und nicht umgekehrt. Eine Betrachtung der Psychologie der Maschine sei also mehr eine Auseinandersetzung mit uns selbst als mit technischen Konstruktionen. In seinem Vortrag zeichnete Burckhardt diese Psychologie nicht linear nach, sondern exemplifizierte an unterschiedlichen Aspekten.

Zu Beginn rückte Burckhardt unser Verständnis über den Computer als Grundlage der neuesten technischen Entwicklungen in ein neues Licht. Gemeinhin verstünden wir den Computer als ein Werkzeug, wie etwa auch der Hammer eines sei, als eine konsequente Fortführung der technischen Entwicklungen. Diese Interpretation der modernen Maschine sei jedoch verkürzt, vielmehr sei der Computer vergleichbar mit einer Werkstatt, die einen eigenen Raum eröffne, in welchem wir uns nun bewegen würden.

Der Ursprung dieses Raumes liege aber nicht im Computer selbst, sondern in der Entstehung der „Netzwerkgesellschaft“. Unter diesem Begriff versteht Burckhardt die Entstehung eines einheitlichen Bewußtseins dafür, daß die Menschen durch eine „Gleichzeitigkeit“ miteinander verwoben seien. Der Entstehungszeitpunkt dieser „Netzwerkgesellschaft“ liege allerdings weiter zurück, als man vermuten könne. Zu Anschauungszwecken zog Burckhardt ein Beispiel aus dem 18. Jahrhundert heran: Im Jahr 1746 fanden sich im Norden Frankreichs auf einem Feld mehrere Kartäusermönche zusammen, die einen Kreis bildeten und sich miteinander verkabelten. Anschließend berührte der Mönch Abbé Nollet eine kleine Antenne, die aus einem wassergefüllten Behälter hervorragte. Daraufhin begannen all diese Mönche gleichzeitig zu zucken. Dieser von den Mönchen kalkulierte Versuch habe erstmalig eine Gleichzeitigkeit zum Vorschein gebracht, auf dessen Grundlage auch heute die Computerchips basierten, so Burckhardt.

Entscheidend an diesem Beispiel sei, daß die Psychologie der Maschine bereits seit Jahrhunderten in der Kulturgeschichte ihre Wirkung entfalten konnte und sich heute, unter dem Vorzeichen komplexer technischer Mittel, einen stärkeren Ausdruck verschaffe. Die klassischen europäischen Werte, wie etwa die Würde des Individuums, wurden bereits durch die Entstehung der „Netzwerkgesellschaft“ in Frage gestellt. Da weite Teile der Gesellschaft jedoch nicht fähig seien, diese Zusammenhänge zu verstehen, würden sie heute zuweilen mit Ressentiments oder pseudoreligiösen Reflexen auf diese Entwicklung reagieren. Abschließend wies Burckhard mit Nachdruck darauf hin, daß die aus dieser Entwicklung hervorgehenden Veränderungen noch radikaler sein würden als die durch die Druckerpresse im Spätmittelalter.

Die Bibliothek des Konservatismus (BdK) ist ein Ort konservativen Denkens und Schaffens in Berlin. Sie dient gleichermaßen dem Sammeln und Erhalten konservativer Literatur, wie der Weiterentwicklung konservativen Gedankenguts durch Vorträge und Publikationen.

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